Botschafter a. D. im RND-Interview: Warum will China nicht, dass Russland den Krieg in der Ukraine verliert?

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Erst war Chinas Präsident Xi zu Gast bei Putin, nun auch der chinesische Verteidigungs­minister Li. Sie kündigten eine engere militärische Kooperation an. Volker Stanzel, deutscher Botschafter a. D. in China, erklärt im RND-Interview, warum China nicht will, dass Russland den Krieg verliert.

Volker Stanzel, ehemaliger deutscher Botschafter in China, spricht im RND-Interview über den zunehmenden Schulterschluss zwischen Russland und China, mögliche Waffenlieferungen an Moskau und was der Westen der Partnerschaft der beiden Länder entgegensetzen kann.

Herr Stanzel, Chinas politische Führung zeichnete in den vergangenen Tagen einen Schulterschluss mit Moskau. Warum will China nicht, dass Russland den Krieg in der Ukraine verliert?

Das derzeitige Verhältnis zwischen China und Russland ist für beide Seiten attraktiv: Sie profi­tieren voneinander, ohne ein mit Pflichten verbundenes Bündnis etwa nach dem Vorbild der Nato einzugehen. Eine solche Bindung würde beide Seiten überfordern. Aber so bekommt China billige Rohstoffe aus Russland, und Moskau hat Einnahmen, um den Krieg zu finan­zieren. Chinas einzige Sorge ist ein Friedensschluss, der Russland mittelfristig wieder an den Westen heranführt. Verliert Russland jedoch den Krieg gegen die Ukraine, wird seine Abhängig­keit von China weiter zunehmen. Gewinnt Russland den Krieg, bleibt es ein Aussätziger in der Weltgemeinschaft und ebenfalls von China abhängig.

Ist dieser dritte Weg, eine Friedenslösung mit Annäherung an den Westen, denn überhaupt realistisch?

Wir können diese Möglichkeit zumindest nicht ausschließen. Wenn wir die innenpolitische Szene in Russland betrachten, halte ich es durchaus für möglich, dass am Ende eine andere russische Regierung einen Frieden aushandelt. Im Interesse Russlands und des Westens könnten dann auch die wirtschaftlichen Beziehungen zu westlichen Staaten wieder aufgenommen werden.

Im Moment profitiert China aber sehr vom Krieg: Der Westen wird durch Milliarden­ausgaben geschwächt, westliche Waffenbestände werden dezimiert, während Chinas Handel boomt.

Das stimmt, wenn der Krieg noch länger dauert, ist das für China alles andere als schädlich. China hat durch die Corona-Pandemie den Beginn einer Wirtschaftskrise erlebt und sich von diesem Wirtschaftseinbruch noch nicht erholt. Die billigen Rohstoffe aus Russland kommen China sehr gelegen, und ein baldiges Ende des Konflikts würde auch ein Ende dieser für China sehr vorteilhaften Situation bedeuten.

In den vergangenen Wochen und Tagen gab es erst ein Treffen zwischen Putin und Xi, dann ein weiteres mit dem chinesischen Verteidigungsminister. Hat Russland von China die Unterstützung bekommen, die es sich erhofft?

Nein, Putin will die Beziehungen zwischen Moskau und Peking auf eine neue, vor allem für Russland vorteilhaftere Ebene heben. Die Äußerungen des chinesischen Verteidigungs­ministers bei seinem Besuch in Moskau sind aber nichts anderes als eine Wiederholung dessen, was Präsident Xi bereits gesagt hat. Die Militärs beider Länder sollen zwar enger zusammenarbeiten. Konkrete Schritte darüber hinaus, wie zum Beispiel Waffenlieferungen, gibt es aber nach wie vor nicht. Das bestätigt einmal mehr, dass China mit dem jetzigen Zustand zufrieden sein kann.

Putin sprach beim letzten Treffen sogar von einer „vertrauensvollen“ und „strategischen“ militärischen Zusammenarbeit mit China. Wie weit reicht diese Zusammenarbeit Ihrer Einschätzung nach?

Auch wenn Putin es erhofft, vor Waffenlieferungen schreckt China zurück. Denn das ist die rote Linie. Zu groß ist die Angst vor westlichen Sanktionen, die sich Peking wirtschaftlich und politisch nicht leisten kann. Chinesische Firmen liefern zwar Hightechkomponenten an Russland, die auch für Waffen verwendet werden können, hält sich ansonsten aber zurück. Ich gehe nicht davon aus, dass China in absehbarer Zeit Waffen an Russland liefern wird. Die chinesische Wirtschaft braucht jedes Geschäft, das sie bekommen kann, will sich aber nicht an anderer Stelle schaden.

Statt Waffen gibt es auch noch andere Möglichkeiten der Unterstützung, zum Beispiel durch die Weitergabe von Informationen etwa aus der Satellitenaufklärung.

Wir können davon ausgehen, dass China schon jetzt Russland im Krieg mit Informationen unterstützt. Die Chinesen verfügen über umfangreiche Kompetenzen im Bereich der Informationsbeschaffung und über ein großes Satellitenprogramm. Die Weitergabe solcher Informationen würde auch dem Status der momentanen Kooperation zwischen den beiden Staaten entsprechen. Die Chinesen sind derzeit nicht zu Waffenlieferungen bereit, wollen aber Russland bei der Kriegsführung auf andere Weise helfen. Diese Unterstützung trägt auch zu ihrem Ziel bei, die USA und den Westen insgesamt zu schwächen.

Russland entwickelt sich inzwischen zunehmend zum Juniorpartner Chinas. Zwar profitiert Moskau derzeit davon, aber langfristig dürfte das für Russland unbefrie­digend werden.

Für China ist es eine attraktive Strategie, Russland zum Juniorpartner zu machen. Aber für Putin, der sein imperiales Russland wieder zu einer Großmacht machen will, kann die zunehmende Abhängigkeit von China nur unbefriedigend sein. Es ist schwer vorstellbar, dass sich Russland mit der Rolle des Juniorpartners zufrieden gibt. Bei seinen Besuchen in China hat Putin immer wieder Formulierungen gewählt, die eine Gleichrangigkeit beider Staaten suggerieren sollten.

Was kann der Westen dem Schulterschluss zwischen Russland und China entgegen­setzen?

Es geht nicht nur um den Westen, sondern um die ganze Weltgemeinschaft: Russland und China versuchen, die internationalen Regeln durch ihre eigenen so zu ersetzen, wie es ihnen Vorteile bringt. Zugleich wächst die Abhängigkeit vieler Staaten von China in einem Ausmaß, das man sich in keiner Hauptstadt in der Welt wünschen kann. Der Westen kann sich davor nur zu schützen suchen – und muss zugleich bei anderen Staaten dafür werben, die Regeln, die sich die internationale Gemeinschaft gegeben hat, nicht gegen neue auszutauschen, die einzig den Mächtigen nützen.

Nein, Indien, Brasilien, Südafrika und Indonesien etwa sind nicht nur wirtschaftlich vergleichs­weise starke, sondern auch bevölkerungsreiche Länder. Diese Länder suchen derzeit ihren Platz in der Welt, der ihrem neuen Einfluss entspricht. Sie orientieren sich nicht unbedingt am Westen oder an China, sondern beobachten genau und wägen ab, ob und wie sie sich positionieren. Die Welt befindet sich in einer Umbruchphase, in der sich eine neue Welt­ordnung noch finden muss.

Quelle: https://www.rnd.de/politik/china-und-russland-warum-peking-nicht-will-dass-moskau-den-krieg-in-der-ukraine-verliert-64HAJHPIH5HVBCWTQ53ERNQEQE.html

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