Im Windschatten des Krieges: Chinas globales Erwachen

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Xi Jinping sieht seinen Moment gekommen: Noch nie zuvor hat er den Westen so offensiv heraus­gefordert wie aktuell. Der Autokrat stellt sein Land als „Friedens­nation“ dar, von der keine Verwestlichung drohe, und propagiert damit eine Weltordnung, die vor allem im globalen Süden verfängt.

Peking. Nach seinem gemeinsamen Festessen im Kreml verabschiedet sich Xi Jinping mit geradezu prophetischen Worten von seinem Gastgeber. „Im Moment gibt es Veränderungen, wie wir sie seit 100 Jahren nicht mehr gesehen haben. Und wir sind es, die diesen Wandel gemeinsam vorantreiben“, sagt der 69-Jährige, während Wladimir Putin zustimmend nickt.

Spätestens diese Woche dürfte wohl kaum ein Spitzen­politiker zwischen Brüssel und Berlin mehr anzweifeln, dass Chinas Aufstieg als diplomatische Weltmacht eine ernsthafte Heraus­forderung für die bestehende Ordnung darstellt. Mit schwindel­erregendem Tempo ist die Volksrepublik in diesem Winter aus einem selbst auferlegten, nahezu dreijährigen Null-Covid-Dornröschen­schlaf aufgewacht – und versucht nun mit aller Kraft, aus der internationalen Isolation heraus­zubrechen.

Im Wochentakt empfängt Peking Staatsgäste aus aller Welt

Die bisherigen Erfolge sind beachtlich. Im Wochentakt treffen Staatsgäste aus aller Welt im Pekinger Regierungs­viertel ein: Am Montag wird der brasilianische Präsident Lula da Silva erwartet, gefolgt vom spanischen Regierungschef Pedro Sánchez und von Emmanuel Macron aus Frankreich. All dies nur wenige Tage nachdem sich Xi Jinping in Moskau neben seinem „Junior­partner“ Putin hofieren ließ, Honduras als einer der letzten Verbündeten Taiwans auf die eigene Seite lockte und einen bahnbrechenden Deal zwischen Saudi-Arabien und Iran einfädelte.

Dass China um einen regen Austausch auf der internationalen Bühne bemüht ist, ist natürlich beileibe nicht neu. Doch der offensive Ton, eine globale Alternative zu postulieren, stellt einen radikalen Bruch mit der zuvor herrschenden diplomatischen Maxime dar: Wirtschafts­reformer Deng Xiaoping gab einst aus, die eigenen Stärken zu verbergen und auf den richtigen Augenblick zu warten.

Dieser scheint nun unter Xi Jinping eindeutig gekommen zu sein. Und in der Tat war es längst überfällig, dass die mittlerweile zweitgrößte Volkswirtschaft endlich auch auf dem internationalen Parkett stärker mitreden will – etwa, indem sie Posten bei den Vereinten Nationen besetzt.

China verspricht Modernisierung ohne Verwestlichung

Womit jedoch nur wenige Beobachter gerechnet hatten: Wie angriffslustig Chinas Staatschef das einst risikoscheue Land diplomatisch positioniert. Gegen Hongkong führte Xi trotz der internationalen Kritik stoisch flächen­deckende Repressionen ein, im Südchinesischen Meer ignorierte er sämtliche territorialen Grenzen, und kurz nach dem Ukraine-Krieg stellte er sich zum Schock der Europäer demonstrativ an die Seite Russlands. Ganz offen wettert Xi zudem mittlerweile gegen den verhassten Westen. Keine Rede ist mehr davon, dass die USA und Europa der Volksrepublik einst wohlwollend den Weg in die Welthandels­organisation geebnet und damit ihren wirtschaftlichen Aufstieg massiv beschleunigt hatten. Stattdessen ermahnt Xi seine Bevölkerung nur mehr, dass Washington und seine Verbündeten China eindämmen wollen.

In weiten Teilen des globalen Südens fällt Xis weltweite Vision auf fruchtbaren Boden. Jahrzehnte, in denen sich Washington als Weltpolizei aufspielte, haben tiefe Animositäten hinterlassen. Hinzu kommt das koloniale Erbe der Europäer. Die Volksrepublik China hingegen steht für einen wertebefreiten Pragmatismus und ein wirtschaftliches Entwicklungs­modell, das Hunderte Millionen Menschen aus bitterer Armut gehievt hat.

Am sichtbarsten spiegelt sich Xi Jinpings gewachsener Einfluss in der neuen Seidenstraße wider, die sich von Zentralasien bis nach Lateinamerika erstreckt. Über 150 Staaten haben bereits ein Memorandum der „Belt and Road“-Initiative unterschrieben, die günstige Kredite und flächen­deckende Infrastruktur­projekte verheißt. Xi betonte zuletzt in seinen Reden immer wieder: China liefere den historischen Beweis dafür, dass Modernisierung nicht gleich Verwestlichung bedeute. Der Autokrat stellt sein Land als „Friedens­nation“ dar, die keine Hegemonie anstrebt, sich nicht in die Angelegenheiten anderer Länder einmischt und Entwicklungs­länder nicht ausbeutet.

Weltordnung für den Machterhalt gestalten

Dass es sich bei dieser idealisierten Eigen­umschreibung vor allem um Propaganda handelt, mag zwar die vorherrschende Meinung in Europa und den USA sein. In vielen Teilen Afrikas und auch Südamerikas hingegen wird China durchaus als willkommener Handelspartner und verantwortlicher Vermittler wahrgenommen.

Und doch wird sich Xi mit zunehmender Verantwortungsrolle auch immer stärker in dieselben Widersprüche und Doppel­standards verstricken, die er öffentlichkeits­wirksam dem Westen anlastet. Ganz offen war dies beim chinesischen „Friedens­plan“ zum Ukraine-Krieg zu beobachten: Dass Peking im ersten Paragraf des Dokuments an die territoriale Souveränität sämtlicher Länder erinnert, aber gleichzeitig die russische Invasion mit keiner Silbe kritisiert, ist höchst perfide.

Schlussendlich nämlich kennt Xi Jinpings Außenpolitik vor allem eine Zielsetzung, die über allen anderen steht: Er möchte die Weltordnung derart gestalten, dass sie sicherer für den Machterhalt der Kommunistischen Partei wird. Dafür ist der 69-Jährige nicht nur bereit, sämtliche Schurken­staaten zu unterstützen, sondern auch die Grund­prinzipien seiner Politik kurzfristig über Bord zu werfen.

Quelle: https://www.rnd.de/politik/xi-jinping-und-chinas-globales-erwachen-EXI7PDSWIVCCBPJ7EGNJKNB4WU.html

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