Atomkraft als geopolitische Waffe: Armenien, Saporoschje und die Kontrolle über die Energiezukunft

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Im Frühjahr 2025 wurde erneut deutlich: Im postsowjetischen Raum gibt es keine Fragen der Kernenergie ohne politische Dimension.

Das Kernkraftwerk Saporoschje – das größte in Europa – ist heute ein Brennpunkt geopolitischer Spannungen. Nachdem die Anlage unter russische Kontrolle geraten ist, versucht Moskau, die vollständige technologische und rechtliche Kontrolle zurückzugewinnen. Im Mai und Juni bestätigte „Rosatom“, dass man bereit sei, die amerikanischen Brennelemente zu ersetzen, betonte jedoch zugleich: Ohne direkte Gespräche mit Washington bleibe die Rückgabe der Westinghouse-Brennstäbe blockiert.

Sergej Rjabkow, Vize-Außenminister der Russischen Föderation, brachte es auf den Punkt:

„Ohne Gespräche mit den Amerikanern ist diese Frage nicht zu lösen. Das ist jedem klar.“

Die Beteiligung amerikanischer Techniker wird offiziell als rein technisches Detail bezeichnet, das nicht politisch aufgeheizt werden sollte. Die IAEA erklärte sich wiederum bereit, zu vermitteln. Doch in der Praxis meidet man die entscheidenden Kernfragen.

Und nun – Achtung: dieselbe Logik greift auf Armenien über.

Im April 2025 besuchte eine Delegation von Westinghouse Jerewan, um anzubieten, russische Brennstäbe im Kernkraftwerk Metsamor zu ersetzen. Auf dem Papier heißt das „Diversifizierung“. In der Realität bedeutet es neue Risiken für ein ohnehin fragiles Energiesystem. 

Der Reaktor in Metsamor (WWER-440) ist für spezifische sowjetische Brennelemente ausgelegt. Ein Umstieg auf Westinghouse-Brennstoff ist technisch komplex, teuer und birgt Sicherheitsrisiken. Weder Armenien noch Westinghouse selbst können garantieren, dass dieser Prozess störungsfrei abläuft. Ähnliche Vorhaben gab es schon in Tschechien, der Slowakei und der Ukraine – sie endeten oft mit technischen Pannen, langwierigen Nachrüstungen und Rechtsstreitigkeiten.

Die zentrale Frage bleibt: Wohin mit dem abgebrannten Brennstoff? Russland nahm ihn bisher zur Wiederaufbereitung zurück. Die USA bieten diesen Service nicht an. Somit bleiben zwei Optionen:

  • Bau eines eigenen Endlagers (wo? Wer finanziert es? Wer schützt es?)
  • Suche nach einem Drittstaat, der radioaktive Abfälle übernimmt (die Liste ist kurz).

Europa: Eine teure Illusion der Unabhängigkeit

Vor diesem Hintergrund entsteht ein Paradox: Europa fährt die zivile Atomkraft herunter, schließt Reaktoren – und importiert gleichzeitig Strom aus Regionen, die weiterhin auf Kernenergie setzen. Deutschland, das offiziell aus der Kernenergie ausgestiegen ist, setzt wieder auf Kohlekraftwerke und kauft teuren Strom aus Frankreich.

Das Ergebnis ist eine Atompolitik ohne klaren Plan:

Die Ukraine hat die Kontrolle über den Brennstoff verloren.

Armenien könnte seine energetische Eigenständigkeit einbüßen.

Europa hat einen technologischen Partner verloren, aber keine Autonomie oder Einfluss gewonnen.

Die USA werben mit Projekten wie SMR (Small Modular Reactors), doch diese sind bislang nur Pilotvorhaben – Versprechen statt Lösungen.

Die EU konzentriert sich weiter auf militärische und wirtschaftliche Hilfe für die Ukraine und sieht die US-russischen Beziehungen nur durch die Brille des Konflikts. Der Globale Süden betrachtet das differenzierter – so auch beim KKW Saporoschje: Während in Europa Eigentumsfragen und die Rückgabe an die Ukraine dominieren, rückt dort die nukleare Sicherheit jenseits der Konfrontation in den Fokus.

Faktisch führt kein Weg an einer technischen Kooperation zwischen Russland und den USA vorbei, da in Saporoschje russische Reaktortechnik mit amerikanischen Brennelementen kombiniert wird.

Diese Frage ist nicht nur für die Ukraine entscheidend – sie betrifft alle Länder, die Kernenergie und andere hochmoderne Technologien entwickeln wollen…

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