Moskau dreht durch – und droht Den Haag

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Dmitri Medwedew, Vizechef des russischen Sicherheitsrats, rät den Richtern des Internationalen Strafgerichtshofs: „Beobachten Sie sorgfältig den Himmel.“ Per Hyperschallwaffe könne Russland das Gericht mit einem Schlag auslöschen. Was steckt hinter solchen Vernichtungs­fantasien, die in Moskau derzeit immer wilder werden

Eine Analyse von Matthias Koch.

Auf den internationalen Haftbefehl für Wladimir Putin reagiert die russische Führung mittlerweile auf ihre ganz eigene Art: mit Morddrohungen.

Einmal mehr ist es Dmitri Medwedew (57), der sich jetzt auf besondere Art vorwagt – indem er einen Raketenangriff auf den Internationalen Strafgerichtshof ins Gespräch bringt, mit einer seegestützten russischen Hyperschallwaffe namens Oniks.

Dabei galt Medwedew im Westen jahrelang als Hoffnungsträger. Der frühere Professor für Maschinenbau war in Moskau schon mal Minister­präsident (2012 bis 2020) und sogar schon mal Staatspräsident (2008 bis 2012) – allerdings stets unter der Regie von Wladimir Putin (70), dem er bis heute treu ergeben ist.

Viele hofften, Medwedew werde eines Tages vielleicht als Nachfolger Putins für ein nach außen kooperativeres und nach innen liberaleres Russland sorgen. Inzwischen aber ist Medwedew selbst einer der aggressivsten antiwestlichen Hassprediger in Moskau.

„Ach, meine Herren, wir alle wandeln doch unter Gott und unter den Raketen“, schrieb Medwedew im Messenger­dienst Telegram. „Mit einer Oniks, gestartet von einem russischen Schiff aus der Nordsee“, sei ein vernichtender Schlag gegen das Gerichts­gebäude in Den Haag für Russland kein Problem: „Also, Richter des Gerichts, beobachten Sie sorgfältig den Himmel.“

Der russische Lenkflugkörper P-800 Oniks fliegt mit zweieinhalbfacher Schall­geschwindigkeit. Laut Medwedew kann das System von keiner Flugabwehr aufgehalten werden.

Medwedew veröffentlichte seine Drohbotschaft an Den Haag am 20. März 2023, dem ersten Tag des dreitägigen Staatsbesuchs des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Moskau.

Als stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrats gehört Medwedew auch heute noch zum System Putin. Dass „ein chirurgischer Einsatz“ von Oniks-Raketen in Den Haag einen Weltkrieg auslösen könnte, glaubt Medwedew nicht: „Das Gericht ist nur eine erbärmliche internationale Organisation, nicht die Bevölkerung eines Nato-Landes.“ Deshalb werde niemand einen Krieg beginnen.

Die Androhung militärischer Gewalt direkt gegen das Gericht markiert den bisherigen Höhepunkt der russischen Aufwallungen angesichts des Haft­befehls gegen Putin. Auch wenn man in dieser Debatte nicht jedes Wort zum Nennwert nimmt, ergibt sich ein beklemmender Befund: Die Aggressivität führender Leute in Moskau wächst, ihre Vernichtungs­fantasien werden immer verstörender.

Margarita Simonjan (42), Chefredakteurin des Fernsehsenders Russia Today, warnte bereits alle Regierungen der Welt davor, gegen Putin vorzugehen. „Den Staat möchte ich ja mal sehen, der es wagt, Putin wegen der Entscheidung aus Den Haag festzunehmen.“ Unter Anspielung auf Russlands Raketen­arsenal höhnte Simonjan, „schon acht Minuten später oder wie lang auch immer die Flugzeit ist“ werde man dann weitersehen.

Der Ruf nach nuklearen Schlägen, auch gigantischen, gehört inzwischen im russischen Staatsfernsehen zum Alltag. Eine treibende Rolle spielt dabei der als Putins Lieblings­kommentator bekannte Wladimir Solowjow (59).

Den Deutschen zum Beispiel drohte Solowjow dieser Tage mit nichts Geringerem als der atomaren Interkontinental­rakete Satan 2, die Gefechtsköpfe mit einem Gesamtgewicht von zehn Tonnen tragen kann. Grund der Aufregung: Bundes­justizminister Marco Buschmann hatte eine Festnahme Putins für den Fall in Aussicht gestellt, dass der russische Präsident deutschen Boden betritt.

Buschmann sei „ein Drecksack“, empörte sich Solowjow – und verbreitete vor der Kamera zähnefletschend Düsternis: „Wollen Sie den russischen Bären aufwecken? Er wird ihr zartes Fleisch in Stücke reißen.“

Moskau ist müde geworden

Auch Simonjan kommuniziert so, als liege eine coole Antwort auf den Vorwurf von Menschenrechts­verletzungen im Griff zu russischen Atomwaffen. Das ist nicht nur ein intellektueller Kurzschluss, es zeigt eine Überheblichkeit, die sich noch als Fehler erweisen wird.

Als es um die Verbrechen der russischen Armee in Butscha ging, die Erschießung gefesselter ukrainischer Zivilisten etwa und die Vergewaltigung von teilweise erst vier Jahre alten Mädchen, wählten Putins Leute noch den bewährten alten Weg, alle Vorwürfe erst mal zu leugnen. Das mag modernen Propagandisten mühsam erscheinen und langweilig, hat aber den Vorteil, dass man auf diese Art mehr normale Leute aus dem Volk mitnehmen kann.

So müsste es jetzt eigentlich auch im Fall der Vorwürfe gegen Putin laufen. Russischer Normalität entspräche es, den Vorwurf der Entführung von Kindern aus der Ukraine abzustreiten: stimmt ja gar nicht, alles Missverständnisse. Altmeister Sergej Lawrow, der Außenminister, hat jahrzehntelang mit viel Geduld nach dieser Methode gearbeitet.

Wer aber jetzt wie Medwedew selbst zur Waffe greift und damit auf ein internationales Gericht zielt, ist kein Verteidiger mehr, sondern wird selbst als Gangster erkennbar – nicht nur für die westliche Welt, sondern auch für das russische Publikum.

Das Regime zeigt Zeichen der Schwäche. Es bekommt die über Jahrhunderte eingeübte Maskirowka nicht mehr hin, die in Russland übliche Verschleierung der Wahrheit. Moskau, so scheint es, ist müde geworden.

Quelle: https://www.rnd.de/politik/medwedew-droht-den-haag-was-steckt-hinter-den-fantasien-aus-moskau-IZK4ZC6NAJDBPDEGUPUVVM3OJI.html

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