Ukrainische Sportler und Politiker kritisieren die IOC-Empfehlung zur Teilnahme von Russland und Belarus an internationalen Wettkämpfen: Die Athleten sollten nur teilnehmen, wenn sie geflüchtet seien und sich von ihren Ländern losgesagt hätten.
Sophia Naumova ist seit fünf Jahren Gewichtheberin und hat seitdem an mehreren wichtigen Wettkämpfen in der Ukraine teilgenommen. Für die 17-Jährige aus dem russisch besetzten ukrainischen Luhansk ist klar: Auch unter neutraler Flagge sollen keine Sportlerinnen und Sportler aus Russland und Belarus an den Olympischen Spielen teilnehmen. „Ich finde den Vorschlag nicht richtig. Warum sollten Länder, die mich und meine Familien und mein Land zerstören wollen, teilnehmen?“
Medaillen geschmolzen oder weggeschossen
Naumova trainiert in Kiew, und Jurij Kutschinow teilt ihre Ansichten. Der Nationaltrainer für Gewichtheben begann seine Karriere zu Sowjetzeiten und hat schon siebenmal an Olympischen Spielen teilgenommen, unter anderem in Atlanta. Athletinnen und Athleten aus Russland oder Belarus könnten aus seiner Sicht nur teilnehmen, wenn sie aus ihren Ländern geflüchtet wären und sich losgesagt hätten.
„Wie könnte ich anders denken“, meint er. Das Haus von Naumowa sei niedergebrannt, ihre Medaillen geschmolzen oder weggeschossen worden. „Es gibt so viele Athleten, die Häuser und Wohnungen verloren haben, und junge Trainerkollegen sind im Krieg getötet worden. Aleksej Kolokoltsew zum Beispiel hat mehrere Bronzemedaillen gewonnen und kämpft jetzt in Bachmut.“
Kritik auch vom Sportminister
Auch der ukrainische Minister für Sport und Jugend, Vadym Hutsait, kritisiert den Vorstoß des IOC, russische und belarusische Sportlerinnen und Sportler wieder an internationalen Wettkämpfen unter neutraler Flagge teilnehmen zu lassen. Wenn auch nur unter bestimmten Bedingungen: Keine Teams, nur Einzelsportlerinnen und -sportler – und diese nur ohne Bezug zu russischem oder belarusischem Militär und Geheimdiensten.
„Wir sind damit überhaupt nicht einverstanden“, so Hutsait. „Wie könnten wir auch? Wir haben doch dafür gekämpft, dass sie nicht mehr in Sportarenen dabei sind. Aber unglücklicherweise hat das IOC eine neue Empfehlung gemacht, die wir alle verhindern wollten. Der Präsident der Ukraine, alle Sportföderationen und ich persönlich haben uns dafür stark gemacht, dass sie nicht zurückkehren sollen.“
Über mögliche nächste Schritte der Ukraine sagte der Sportminister kurz nach der IOC-Empfehlung, es sei noch zu früh, das zu sagen, man werde es besprechen und reagieren.
Klitschko: „Empfehlung ist Unsinn“
Hutsait ist auch Präsident des ukrainischen nationalen olympischen Komitees. Fußballprofi Roman Sosulja kritisierte dessen Haltung als zu passiv. Der Vorschlag des IOC habe sich abgezeichnet, und es sei lange klar gewesen, dass er kommen würde. Dass die Entscheidung noch nicht endgültig gefallen sei, sei kein Erfolg, schrieb er auf Facebook.
Auch der mehrfache ukrainische Boxweltmeister im Schwergewicht, Wolodymyr Klitschko, äußerte auf Twitter seinen Unmut. Klitschko warf IOC-Präsident Thomas Bach vor, den „Interessen Russlands“ zu dienen. Die Empfehlung beschmutze den olympischen Geist und sei ähnlich wie dieser Krieg einfach Unsinn.
Viele Athleten bereits im Krieg getötet
Kuchinow erinnerte zudem daran, dass der russische Angriffskrieg es der Ukraine schwer mache, an internationalen Wettkämpfen teilzunehmen, da viele getötet worden seien.
Es gibt junge Athleten, die bei russischen Luftangriffen ums Leben gekommen sind. Unsere Trainer sind getötet worden, und es gibt Athleten, die sich freiwillig zur Armee gemeldet haben. Wir wissen im Moment nicht einmal genau, wie viele Athleten und Trainer aus allen Disziplinen im Krieg getötet wurden.
Gewichtheberin Naumova träumt unterdessen von großen Wettkämpfen wie Olympia. Sie sei schon besser geworden, sagt sie. „Vielleicht, wenn ich mich richtig anstrenge. Ich kann es versuchen, weil ich die Möglichkeiten habe zu trainieren. Es dauert wohl noch, aber ich mache Fortschritte.“
Quelle: https://www.tagesschau.de/ausland/ukraine-ioc-kritik-101.html