Pressefreiheit ist kein Recht, sondern die Rüstung der Gesellschaft

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Von Yevgeny Bort

OSZE – ein Raum, in dem sich alle begegnen, außer der Verantwortung 

Die OSZE-Konferenzen in Warschau erinnern weniger an diplomatische Dialoge als an ritualisierte Zivilisationsbeobachtung. Alles verläuft geordnet, höflich, protokollkonform – und doch liegt über dem Geschehen der feine Geruch institutionalisierter Absurdität, den internationale Foren besser zu produzieren wissen als jede Haute Cuisine.


Schon die Registrierung wirkt wie ein soziologisches Experiment. In einer Schlange stehen: ein Beamter mit dem Ausdruck „Ich bin hier, weil es so vorgesehen ist“, ein Menschenrechtsaktivist mit der Haltung „Ich gehe nicht, bis es vorbei ist“, ein Mann, der gleichzeitig wie UN-Delegierter und Fernbusfahrer aussieht, ein buddhistischer Mönch, der offenbar zufällig in der Agenda gelandet ist, aber höflich bleibt – und zwei Touristen, die vermutlich dachten, sie hätten den Eintritt in ein Museum der Demokratie gefunden.


Schon die Registrierung wirkt wie ein soziologisches Experiment. In einer Schlange stehen: ein Beamter mit dem Ausdruck „Ich bin hier, weil es so vorgesehen ist“, ein Menschenrechtsaktivist mit der Haltung „Ich gehe nicht, bis es vorbei ist“, ein Mann, der gleichzeitig wie UN-Delegierter und Fernbusfahrer aussieht, ein buddhistischer Mönch, der offenbar zufällig in der Agenda gelandet ist, aber höflich bleibt – und zwei Touristen, die vermutlich dachten, sie hätten den Eintritt in ein Museum der Demokratie gefunden.

Im Konferenzsaal treffen Realitäten aufeinander, die im Alltag unvereinbar wären: Ein politischer Gefangener spricht per Videoleitung, ein Regierungsvertreter antwortet ohne erkennbare Regung, Aktivisten bekämpfen einander heftiger als die Politik, gegen die sie auftreten. Ein einzigartiges Format – das jedoch zunehmend als Sicherheitsventil fungiert: Alle reden, alle empören sich, alle fordern Maßnahmen. Fünfzehn Minuten später trinken alle Wasser. Der Kaffee wurde bereits abgeschaltet.


Sicherheit beginnt mit Wahrheit

Pressefreiheit ist kein moralisches Accessoire und kein berufsständisches Privileg. Sie ist Infrastruktur. Sie ist Krisenfrüherkennung. Sie ist die Fähigkeit einer Gesellschaft, Missbrauch zu erkennen, Gewalt zu dokumentieren und Manipulation zu entlarven. Wenn die Meinungsfreiheit abgeschafft wird, verschwindet zuerst die Wahrheit – und kurz darauf die Sicherheit. Eine Gesellschaft ohne freie Presse verliert ihren Spiegel und ihr Gedächtnis.


Repression – nicht „irgendwo anders“, sondern global

Verhaftungen, Hausdurchsuchungen, Strafprozesse, Übergriffe, Morde – das ist längst nicht mehr exklusiv das Terrain autoritärer Staaten. Es ist die neue globale Normalität.

  • Russland – bis zu 15 Jahre Haft für „Falschinformationen über die Armee“; hunderte Journalisten ins Exil gezwungen.
  • Weißrussland – dutzende Journalisten in Gefängnissen; Medien aufgelöst, Redaktionen geflüchtet.
  • Türkei – pauschale Terrorismusvorwürfe gegen Reporter, Redaktionsschließungen per Dekret.
  • Mexiko, Sudan, Palästina – Journalisten werden im Feld getötet, als wären sie Kombattanten.
  • Vereinigtes Königreich – Sicherheitsgesetze gegen Reporter; der Fall Assange als Symbol einer doppelten Moral.
  • Frankreich – Festnahmen und Durchsuchungen bei Journalisten, die über Militäreinsätze berichten.
  • USA – geheime Datenerhebungen gegen Redaktionen; kein bundesgesetzlicher Quellenschutz.

Der Unterschied zwischen Regimen liegt nur noch im Werkzeug: hier Schlagstock und Zelle, dort Gerichtsbeschluss und bürokratische Eleganz. Das Ziel bleibt identisch – Zeugen zum Schweigen zu bringen.


Die unsichtbare Zensur der Plattform-Ära

Moderne Zensur braucht kein Verbot – sie braucht nur einen Algorithmus. Inhalt, der stört, wird nicht gelöscht, sondern begraben. Kritischer Journalismus wird durch emotionale Unterhaltung verdrängt, Fakten ertrinken im Strom personalisierter Halbwahrheiten. Meinungsfreiheit wird technisch beibehalten – aber praktisch entkernt.


Die OSZE ist schwach geworden – aber unersetzlich

Es muss offen ausgesprochen werden: In Fragen der Medienfreiheit hat die OSZE an Durchgriff verloren. Monitoring-Missionen werden reduziert, Erklärungen in diplomatischen Floskeln erstickt, Reaktionen der Staaten bleiben folgenlos.

Und dennoch – die Alternative wäre gefährlicher als der Stillstand.

Die OSZE ist nach wie vor das einzige internationale Forum, in dem Zivilgesellschaft direkt mit Regierungen sprechen kann – ohne Erlaubnis dieser Regierungen. Es ist der einzige Raum, in dem ein Journalist im Exil, ein Minister und ein ehemaliger Häftling im gleichen Mikrofonprotokoll auftauchen. Es ist der letzte Ort, an dem Kritik nicht nur ausgesprochen, sondern archiviert wird.


Was gebraucht wird – keine Parolen, sondern Werkzeuge

  • Einbindung unabhängiger Medien und NGOs in offizielle Monitoring-Mechanismen – nicht als Gäste, sondern als mandatierte Partner.
  • Dauerhafte Notfallprogramme für gefährdete Journalisten, umgesetzt über bewährte NGOs: Evakuierung, Visa, Rechtsschutz, sichere Kommunikation.
  • Ein strukturierter Schutzmechanismus für Journalist*innen im Exil – Register, Fonds, Logistik, transnationale Rechtsgarantien.
  • Anerkennung sicherer digitaler Infrastruktur als Grundvoraussetzung für Pressefreiheit – VPN, dezentrale Plattformen und zensurresistente Netzwerke sind Sicherheitskomponenten, keine „Grauzonen“.

Warum es alle betrifft

Ein Journalist ist keine Konfliktpartei. Ein Journalist ist ein Zeuge. Und wenn der Zeuge ungeschützt bleibt, wird das Verbrechen zur Norm.
Wenn sichere Kommunikation fehlt, verschwindet das Zeugnis.
Wenn Institutionen versagen, ersetzt der Informationsstrom die Erinnerung – und der Strom löscht schneller, als Nachrichten sterben.


Die hier formulierten Thesen basieren auf einem Beitrag der unabhängigen Medienorganisation UVFP e.V. (Unabhängiger Verband Freier Presse, https://uvfp.de), präsentiert im Rahmen einer Sitzung der OSZE.

Der vollständige Bericht ist unter folgendem Link abrufbar:
https://meetings.odihr.pl/resources/download-file-dds/1055/251013165328_0158.pdf

Die OSZE muss kritisiert werden – aber sie darf nicht zerstört werden.
Das Problem liegt nicht in der Struktur, sondern in ihrer Unterlassung.

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