Kreml-Papier: Russlands Strategie für das Baltikum

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Bislang unbekannte Papiere aus dem Kreml beschreiben, wie Russland im Baltikum offenbar Einfluss zurückgewinnen will. Experten zufolge läuft die Taktik Moskaus bislang aber ins Leere.

„Putin, The Hague is waiting for you!“ – „Putin, Den Haag wartet auf dich!“ Dieser Slogan prangt seit Monaten auf einem der Wolkenkratzer von Vilnius, der Hauptstadt Litauens. Hier, weit im Osten der EU, in direkter Nachbarschaft zu Russland, will man offenbar sehr deutlich machen, dass man dem Aggressor im Kreml in jedem Fall die Stirn bieten will. Die Regierung in Vilnius steht klar an der Seite der Ukraine. Jegliche Kontakte zu Russland liegen auf Eis.

Die entschiedene Position gegenüber Moskau vertritt Litauen zusammen mit seinen baltischen Partnern Lettland und Estland. Innerhalb der EU treiben die drei baltischen Staaten die Sanktionen gegen Russland besonders voran. Und schon lange vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine warnten sie vor einem aggressiven Kurs des Kreml. Denn das Baltikum liegt direkt vor Russlands Toren.

Moskau wiederum versucht offenbar seit Jahren, seinen Einfluss in den baltischen Staaten auszubauen. Das jedenfalls geht aus internen, bisher nicht öffentlich bekannten Strategie-Papieren hervor, die aus der Kreml-Administration stammen sollen.

WDRNDR, „Süddeutsche Zeitung“ und internationale Medienpartner hatten in diesem Jahr bereits über ähnliche Dokumente zu den mutmaßlichen Plänen des Kreml für Operationen der Destabilisierung und Einflussnahme in Belarus und Moldau berichtet. Dem Recherchekonsortium liegen nun weitere Papiere vor, und diesmal geht es um Strategien für das Baltikum.

Dokumente offenbar aus dem Sommer 2021

In den neuen Dokumenten zu Litauen, Lettland und Estland, die offenbar im Sommer 2021 verfasst wurden, geht es anders als bei Moldau oder Belarus weniger um die Frage, wie Russland sich ein Land langsam einverleiben kann. Es geht vielmehr um Strategien dafür, im Baltikum mehr Einfluss zu gewinnen. Und darum, eine Ausweitung des NATO-Engagements im Baltikum zu verhindern.

Manche Ziele für die drei Länder ähneln sich dabei, etwa die Unterstützung pro-russischer Kräfte. Auch will Moskau generell gegen eine angebliche Diskriminierung von russischsprachigen Bürgern vorgehen. Es geht es in den Papieren aber auch um sehr länderspezifische Ansätze. So heißt es, die Verbindungen zwischen „russischen Landsleuten“ in Litauen und „ihrem historischen Heimatland“ sollten besonders gestärkt werden.

Für den Kreml scheinen zudem Organisationen im Baltikum mit russlandfreundlichem Hintergrund eine wichtige Rolle zu spielen. Man wolle „öffentliche Strukturen, Stiftungen und NGOs“ etablieren, um die Kooperation mit Russland zu befördern. Langfristig gehe es darum, die Beziehungen zwischen Russland und Litauen, Lettland und Estland „wiederherzustellen“.

Wie zuletzt in der Auseinandersetzung mit dem Westen, sieht der Kreml auch mit Blick auf die baltischen Staaten offenbar Energie als ein mögliches politisches Druckmittel. Das Stromnetz aller drei Länder ist immer noch eng mit dem Russlands verknüpft. Allerdings sind die drei Länder längst dabei, sich von russischer Energie unabhängig zu machen. Dabei könnte Moskau einen entscheidenden Machthebel verlieren, warnen die Kreml-Strategen in den Papieren.

NATO im Mittelpunkt

Einer der zentralen Punkte in allen drei Kreml-Papieren ist die NATO: Das Militärbündnis solle sich nicht dauerhaft in der Region etablieren können. Das war so oder so ähnlich auch schon in den Strategie-Papieren zu Belarus und Moldau zu lesen. Bezogen auf die baltischen Staaten heißt es hier, dass in Lettland und Litauen ausdrücklich die „Einrichtung von NATO-Stützpunkten“ verhindert werden soll.

Der Plan für Litauen, dem baltischen Land mit den meisten Einwohnern, nennt zudem explizit die Aufstellung von Mittelstreckenabwehrsystemen zur Luft- und Raketenverteidigung in NATO-Regie. Pro-russische Politiker machen tatsächlich schon seit einiger Zeit auf Propagandakanälen und in sozialen Netzwerken mit gezielten Desinformationen gegen die Erweiterung von Militärübungsplätzen im Baltikum Front.

Die Unterlagen sollen von der „Direktion für die grenzübergreifende Zusammenarbeit“ der russischen Präsidialadministration verfasst worden sein, einer Art geopolitischen Denkfabrik des Kreml, deren Aufgabe es ist, Strategien für jene Nachbarstaaten Russlands zu entwickeln in denen Moskau seinen Einfluss ausbauen will.

„Geopolitische Demütigung“

Es waren Litauen, Lettland und Estland, die Anfang der 1990er-Jahre mit ihrem Streben nach Unabhängigkeit das Ende des Sowjetimperiums einläuteten. Im Kreml werde das bis heute als „geopolitische Demütigung“ empfunden, sagt Baltikum-Experte Kai-Olaf Lang von der Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik.

Putin selbst nannte den Zerfall der Sowjetunion die „größte geopolitische Katastrophe“ des vergangenen Jahrhunderts. Und so verwundert es kaum, dass Moskau offensichtlich danach strebt, seinen Einfluss auf die baltischen Staaten wieder zu vergrößern.

Westliche Sicherheitsexperten, mit denen WDRNDR und „Süddeutsche Zeitung“ über die Dokumente gesprochen haben, halten sie für authentisch. „Es zeigt schon Putins Großmachtsfantasien, dass Moskau überhaupt den Versuch unternimmt, in diesem Umfang auf unabhängige Nationen Einfluss nehmen zu wollen“, meint etwa Wolfgang Ischinger, ehemaliger Diplomat und langjähriger Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz.

Ein hochrangiger westlicher Geheimdienstler wiederum sagt: „Es geht nicht darum, in diesen Ländern gewaltsam das System zu stürzen. Stattdessen versuche Russland mit hybriden Maßnahmen seinen noch bestehenden Einfluss zu sichern. Man unterstütze russlandfreundliche Parteien und wende sich an Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft. Allerdings habe das alles „bislang wenig Erfolg“.

„Wir kennen unseren Nachbarn“

Litauens Ministerpräsidentin Ingrida Šimonytė erklärte, das Kreml-Strategiepapier sei für sie „nicht überraschend“. Das Dokument hält sie für authentisch. Ihr Land werde allerdings beispielsweise mit Blick auf die Energie „alles unternehmen, um so schnell wie möglich“ unabhängig von Russland zu werden.

Lettlands Regierungschef Krišjānis Kariņš sagte gegenüber den Medienpartnern, dass sein Land seit der Unabhängigkeit damit konfrontiert sei, dass Russland seine Position in den Nachbarstaaten ausweiten wolle. Aber: „Auf internationaler Ebene setzt sich Lettland aktiv für Russlands Isolation ein“, so Kariņš.

Und Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas meint: „Wir kennen unseren Nachbarn“. Sie sehe ihre Aufgabe darin „unser Wissen über Russlands Aktionen zu teilen, um gegen direkte und indirekte Einflussversuche vorgehen zu können.“

Ein hochrangiger westlicher Geheimdienstmitarbeiter verweist darauf, dass die Kreml-Pläne aus dem Sommer 2021 für das Baltikum bislang kaum Erfolg gezeigt hätten. Die baltischen Staaten seien durch den Krieg gegen die Ukraine vielmehr noch stärker an den Westen herangerückt. Hier ist die russische Taktik offensichtlich nicht aufgegangen. Die russische Präsidialverwaltung ließ eine Anfrage zu den mutmaßlichen Plänen zunächst unbeantwortet

Quelle: https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/russland-kreml-strategiepapier-baltikum-nato-100.html

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